40. Blog - Lijiang, Shangri-La, Tiger-Sprung-Schlucht - Ich bin zufrieden!

Das Problem ist, ich weiss nicht wie ich diesen Blog schreiben soll. Soll ich es erzählen? Für mich behalten? Ich brauchte Zeit um es setzen zu lassen, zu festigen, zu speichern, zuerst einer vertrauten Person zu erzählen. Nun, jetzt möchte ich es teilen, wer weiss, vielleicht erkennt sich jemand in dieser Situation wieder?!

Bereits einen Monat bin ich in China. All das erlebte von unterwegs niederschreiben kann ich nicht. Es ist zu viel, es ist zu intensiv. Aber eines weiss ich, es war genau die richtige Entscheidung nach China zu reisen. Hier fühle ich mich wohl. Hier komme ich meinem Ziel, den Great Himalaya Trail am Stück zu laufen auf der High Route, einen grossen Schritt näher. Die Zeit hier hat viele Knoten in meinem Kopf aber auch im Körper gelöst und tut es weiterhin in den nächsten drei Wochen.

Der letzte Pass vor Dali ist geschafft. Fühle mich trotz Anstrengung immer stärker. Setzte den linken Fuss auf den Teer, strecke den Rücken, falte die Hände hinter meinem Nacken, entspanne die Schultern und blicke über die grosse Stadt. Links gesäumt von der Bergkette, rechts schimmert das stahlblaue Wasser vom Erhai-See. Ich bin in Dali! Die letzten 10 Kilometer bis in die Altstadt kann ich’s rollen lassen. Der Fahrtwind im Haar, ich saufe die Freiheit auf. Ein herrliches Gefühl. Soll ich ein paar Tage hier bleiben? Weiterfahren? Schlendere durch die Touristendurchströmten Gassen. Ausschliesslich Chinesische Touristen. Blicke zum Mond hoch und ich weiss, morgen fahre ich weiter. Etwas, dass ich immer öfters habe. Eine rasche Antwort. Zack, weiss ich wie weiter, ohne lange zu überlegen. Es stimmt einfach. Mein Denken wird klarer.
Die Nacht ist kühl, geheizt wird nicht, aber die Wärmedecke ist herrlich!
Früh bin ich im Sattel. 5. Februar, heute ist Chinesisches Neujahr. In den Dörfen fahre ich mit tanzenden Drachen und weiche sanft dem Feuerwerk aus. Alle sind gut gelaunt. Bereits um zwölf Uhr mittags habe ich ein gefühltes Kilo Zuckerrohr geschenkt bekommen. Liefert mir Energie für den 30 Kilometer Aufstieg den ich vor mir habe.
Weitab von allem. Da ist nur die Strasse, die Steigung mein Wille der geschult und gestärkt wird und die frische Luft. Die Landschaft wird langsam karger. Föhren. Braune Sträucher. Felsen. In einem und dem einzigen Dorf auf der Strecke finde ich einen Platz für die Nacht. Am Morgen brauche ich nun die dicken Handschuhe, Stirnband und Kappe. Brrr. Aber es ist schön zu spüren wie der Körper sich von Minute zu Minute durch die Bewegung aufwärmt. 

Da ist es endlich! WOW! Das Jadedrachen Schneegebirge. Das südlichste, schneebedeckte Gebirge auf der nördlichen Halbkugel. Über 5000 Meter hoch. Bin fasziniert! Da muss ich still halten, hinstehen, schauen, staunen und diesen Blick geniessen.

Minuten später wühle ich mich durch die Kopfsteinpflastergassen von Lijiang und suche eine bezahlbare Unterkunft. Nach zwei Stunden bin ich erfolgreich. Die Preise hier oben auf 2400 Meter über Meer sind hoch.
Nach 14 Fahrtagen brauche ich morgen einen Ruhetag. Doch eigentlich will ich weiter. Nein, der Körper braucht Pause. Wir sind uns nicht immer einig aber er hat meistens recht und gewinnt so. Schaue mir die UNESCO-Stadt an und esse mich einmal quer durch die chinesische Küche durch. Platze fast, aber in Sirup getauchte Erdbeeren gehen immer. Und weil’s an der Ecke nach gut gewürztem Tofu riecht muss ich den auch noch haben. Das ganze runde ich mit einem Dali-Milch-Jogurt ab. Jetzt aber genug. Die Nudeln, Teigtaschen, das angebliche Stück Pizza was sich als Cake herausstellte sind bereits am Verdauen. Gegen das Platzen hilft ein bisschen ayurvedisches Minzöl auf den Bauch streichen. Gute Nacht!

Ich muss und will unbedingt hoch nach Shangri-La und den Höhenweg in der Tiger-Sprung-Schlucht wandern. Nehme den Bus nach Shangri-La. Freddy ruht sich frisch geölt in Lijiang aus. Es war somit mein vorerst letzter Fahrtag. Wahnsinn. Ist mir noch nicht bewusst. Noch 200 Kilometer von Kathmandu nach Pokhara und ein paar von Kloten heim ins Berner Oberland. Krass! Aber das muss mir auch noch nicht bewusst sein. Zuerst Shangri-La!

Kurz nach dem Pass ändert sich alles. Die Häuser sind im tibetischen Stil gebaut. Überall sind Yak’s zu sehen. Diese Hochebene zieht mich an. Ich klebe mit meiner Nase am Fenster. So wie damals, als Mama mich lehrte alleine Zug fahren. Wir übten Hergiswil-Luzern-Hergiswil. Erinnere mich, als wäre es gestern gewesen. Sie stand da auf dem Perron, die Scheibe war mein Feind. Ich hatte Angst. Die Welt zwischen Hergiswil und Luzern war sooo unendlich gross. Sie beruhigte mich mit sanften Armbewegungen. Setzte mich hin. Der Zug rollte langsam an, ich sprang auf, drückte die Nase an die Scheibe, probierte Mama zu halten. Eine leichte Linkskurve und fort war sie. Dann war auch die Angst weg und ich blickte auf den See. 
Hier und jetzt -  keine Spur von Angst. Wir sind auf 3200MüM. Die Luft ist klar und frisch. Ja dem Himmel ein Stück näher. Die Stadt liegt auf dem Weg nach Tibet. So leben hier vorwiegend Tibeter und die Naxi. Zhongdian bekam den Namen Shangri-La aus dem Roman von James Hilton «Der verlorene Horizont». Eine der wenigen Romane den ich vor Jahren einmal gelesen habe. Es dreht sich um einen fiktiven Ort irgendwo in Tibet, wo Menschen in Frieden und Harmonie leben. 
Wandere auf den Hügel, setzte mich unter die Gebetsfahnen. Es windet. Ich blicke in die Weite über das tibetische Hochplateau und da ist es. Es ist wieder hier! Unglaublich! Kann es kaum glauben. Das Gefühl von absoluter Zufriedenheit. Ja, ich bin zufrieden. Ich spüre kein Verlangen. Habe keine Sehnsucht. Keine Erwartungen. Es gibt keinen negativen Punkt. Nerve mich über nichts. Ja, ich bin zufrieden. Ich bin bei mir.

Zugleich schockiert es mich extrem, dass es ein Jahr dauerte bis ich dieses Gefühl nun habe. Das ist doch unglaublich! Ein Jahr bin ich mir entweder Voraus- oder Hinterher gefahren. Ein ganzes Jahr lang. Wie weit musste ich mich Zuhause von mir entfernt haben um ein Jahr zu brauchen mich zu finden?! Echt schockierend! Es war wohl der Stress, den ich mir selber machte. Noch schnell hier und da und hü und hopp. All die News jeden Tag, immer war ich abgelenkt. Toujours! Mein Hirn war wohl überfordert. Hier ein Werbeplakat, da den Bus erwischen, noch schnell einkaufen gehen, heute Nachmittag um den Thunersee radeln, morgen Frühschicht, am Nachmittag abgemacht, Gäste zum Nachtessen, Mails beantworten, Geschenk für den Geburtstag organisieren, uffff!
Und das ist der tägliche Alltag?! Ja es hatte Platz für einen ruhigen Spaziergang oder eine Wanderung am Wochenende an der frischen Luft. Aber jeden Tag blickte ich in die Agenda. Jeden Tag!! Mehrmals. Es ist normal! Das ist der Alltag!! Ist es wirklich normal?? Ist es wirklich der Alltag?? Oder dreht sich die Welt zu schnell?
Ein Jahr kam ich Kilometer um Kilometer mir näher und nun bin ich vollkommen zufrieden. Alles ist gut so wie es ist. Und genau in diesem Gefühl möchte ich einmal sterben. Das sollte ich anstreben, wenn ich wieder Zuhause im «Alltag» bin. Ich schliesse die Augen und probiere dieses Gefühl zu festigen. Einatmen. Ausatmen. Intensiv.
Um dies zu tun, könnte ich mir keinen besseren Platz als hier auf dem Hügel vorstellen. Ich realisiere, dass das jetzige Leben kurz ist. Es liegt in meiner Hand es zu füllen mit Erfahrungen, Erlebnissen, Herausforderungen und Zielen. Versteht ihr was ich meine? 


Jetzt wollte ich euch noch von der tiefsten Schlucht der Welt erzählen. Der Tiger-Sprung-Schlucht. Aber wisst ihr was? Jetzt schliesse ich meinen Computer und gehe ins Training.
1 Monat werde ich mich hier in Kunming im Yunnan Shaolin Tempel intensiv auf meine Herausforderung vorbereiten. Wir trainieren 7 Stunden pro Tag. Kung-Fu, Powerstretching, Hard-Qi-Gong, Wasserkübel schleppen, Ausdauer, Springen. Muskeln werden aufgebaut, Tränen fliessen, blaue Flecken werden grün, gelb und vergehen.
Es bringt mich an meine Grenzen aber ich halte durch! Ich muss! Tag für Tag! 

 

Zufriedene Grüsse aus China

Euer Thesi

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Kommentare: 3
  • #1

    Seelenreise (Donnerstag, 21 Februar 2019 12:20)

    Hallo liebe Maria-Theresia,

    Das Ankommen bei dir hast du echt gut beschrieben - auf den Punkt gebracht. …..das ist ja DAS grosse Problem in der aktuellen Welt, dass die Menschen nicht mehr bei sich sind, nicht mehr sind, näb de Schueh….

    Eine Super-Erfahrung und dann erst noch in der Nähe von Shangri-La, das existiert, aber nicht in der physischen, sondern in der ätherischen Ebene, und letztendlich finden wir es in der Tiefe unseres Herzen.

    Ich wünsche dir von Herzen alles Liebe und Gute auf deinen weiteren Etappen....
    Heidi

  • #2

    Bernadette (Sonntag, 24 Februar 2019 18:53)

    Liebe Maria-Theresia
    Dein Bild auf dem neuen Blog gibt uns Antwort auf all deinen Wahrnehmungen,
    auf all deine Fragen: Was ist das wirkliche Leben? - Ich glaube die Kunst ist es da zu sein, daneben aber nicht immer hinschauen zu wollen - zu müssen, was rund um uns geschieht um die Weisheit zu erlangen: Was ist für mich unerlässlich wichtig in meinem Dasein! Mit neuem Frieden, frischer Energie und grosser Zuversicht wirst du deinen Weg weitergehen.
    Ich freue mich so für dich – schicke dir liebste, anerkennende Grüsse aus den heimatlichen Bergen
    Bernadette

  • #3

    Marianne (Mittwoch, 06 März 2019 19:34)

    Liebes Thesi
    Speichere deine Gefühle, und suche dann hier auch solche Orte um sie abzurufen.... Ich wüsste da schon einen. Oder zwei. Oder mehrere. :-) Freue mich auf dich!!