Endlich! Das tut gut! Es gibt jetzt grad nichts Schöneres. Meine Füsse können sich weiten. Der zweite Tag in festen Schuhen seit dem 1. August. Damals brauchte ich Sohlen für auf den Mount Fuji. Heute brauche ich die Schuhe weil’s saukalt ist hier auf 2000 Meter über Meer. Gestern wagte ich den Schritt nach mehreren Monaten Sandalen-Gehen. Der Fuss aber wollte nicht. Er passte kaum in die Form. Die Zehen mussten sich falten. Der Fuss ist wohl ausgelaufen oder die Schuhe eingegangen. Er wird sich schon wieder daran gewöhnen. Er muss. Viel Zeit bleibt nicht, in zwei Monaten bin ich bereits auf dem Great Himalaya Trail. Dann ist’s vorbei mit Knöchelfrei!
Jetzt aber erst China. Seid ihr parat für die Fahrt im Reich der Mitte? Schnallt euch an, es geht steil rauf und rasant runter! Frohen Mutes stehe ich an der
chinesischen Grenze. Alles Topmodern. Bin beeindruckt von der Technik! Warte keine drei Minuten, schon bin ich dran. Der Beamte mit Grübchen im Gesicht schiebt meinen Pass durch den Scanner…noch
einmal und noch einmal. Die Grübchen verschwinden, Stirnfalten machen sich tief.
Etwas stimmt nicht. Wohl die Technik. «Ich kann ihren Pass nicht einlesen Miss!». Nun, kann wohl schlecht sagen, wenn’s die Russen können, könnt ihr’s auch! Nein, ich schweige. Im Büro nebenan
wird das Videospiel unterbrochen und sechs Beamte kontrollieren den Pass. Alles ok. Stempel ok. «Miss noch eine Frage, haben sie keine Angst alleine in China unterwegs zu sein?». «Sollte ich
denn?». «Nein. Sie sind hier absolut sicher, wir sind nette Menschen, ihnen wird nichts passieren. Welcome to China!». Er strahlte bis zu den Ohren und die Grübchen sind wieder da. Das gibt mir
ein gutes Gefühl.
Viele Leute fragen mich, ob ich denn keine Angst habe alleine. Nein, ich habe keine Angst. Also gut, manchmal schon. Besonders diese eine Frage macht mir Angst. Warum fragen sie das? Ja es gibt
immer wieder Situationen wo die Angst anklopft. Und jedes Mal lerne ich ein Stücken besser mit ihr umzugehen. Sie darf kommen, muss aber wieder gehen. Ich habe da so meine Techniken. Aber diese
erzähle ich gerne, wenn ich wieder Zuhause bin.
Also noch schnell alle Taschen scannen. Das schwarze Förderband ist nun braun. Der Dreck von Laos löste sich von den Taschen, nur ein bisschen, aber man sieht’s. In
15 Minuten bin ich durch. Kann es kaum glauben! Jetzt bin ich in China. Made in China. Im Reich der Mitte. China ist für mich so weit weg. Erinnere mich an die plumpen Witze die wir als Kinder in
der Schule erzählten…ein Chinese, ein Afrikaner und ein Schweizer…
«Was? Du reist nach China? Würde ich nie im Leben! Die Politik. Die Chinesen haben Tibet eingenommen. Die Chinesen essen Hundefleisch. Die Chinesen bauen überall. Nein, dorthin würde ich nicht reisen.»
Jetzt bin ich erst einmal gespannt auf die Begegnungen mit den Chinesen.
Erste Mission nach der Grenze: Geld wechseln. Lesen kann ich nichts. Wechselstube kann ich nicht erkennen. Aber die Teigtaschen-Stube sofort. Dann eben erst etwas
essen. Köstlich. Als ich zahlen will kommt mir in den Sinn, keine Renminbi. «Can i change Money somewhere here? Money? Dollar to
Renminbi? Moooneeeyy?”. Er versteht nicht. Money und Coca-Cola sind grosse Fremdwörter. Auch wenn ich eine Dollarnote zeige und auf eine Note in seiner Schublade zeige, versteht er
nicht. Er ruft seinen Kollegen. Irgendwie kriegen wir das hin. Der telefoniert und eine halbe Stunde später steht ein Mann mit einem Plastiksack voll Geld da. Super! Geld gewechselt, Teigtaschen
bezahlt, ich bin parat. Auf nach Dali. Ab in die Berge.
Circa alle 20 Kilometer werde ich fotografiert. Mit Blitzlicht. Automatisch. Die Überwachung funktioniert. Am Abend checke ich für 5 Franken in einem einfachen Hotel ein. Die gute Dame hinter der
Theke kann mit meinem Pass nicht viel anfangen. Es sind wohl diese komischen Buchstaben. Sie deutet mir, dass ich mich selber einchecken soll am Computer. Ich nehme auf dem Bürostuhl platz.
Wahnsinn, der ist so bequem. Mit Armlehnen. Das habe ich ganz vergessen, dass so ein Bürostuhl bequem ist. Was muss ich tun? Ach ja, einchecken. Studiere die Form der Felder, wo was hineinkommen
könnte. Ihre Tastatur verstehe ich nicht. Tippe einfach etwas in jedes Feld und sie ist glücklich. Noch schnell ein Foto für die Polizei. Das schickt sie ihnen zu. Manchmal kommt die Polizei
später persönlich ins Hotel um selber noch ein Foto zu machen. Letzthin war ich gerade einkaufen und Herr Polizist hat mich hinter dem Kekse-Regal aufgespürt. «Miss, Picture Passport». Okok, noch
schnell ein Fläschchen für meine entwickelte Cola-Sucht und ab ins Hotel. Foto gemacht. Abends um 22:50 Uhr klopft es an der Tür. «Miss, Picture again». Der Polizist lächelt und hält mir sein
Natel vor die Stirn. Das Foto vom Abend hat er verschwommen aufgenommen. Nun, dieses hier ähnelt wohl noch weniger demjenigen im Pass. Mir wurst, Gute Nacht.
Lustig, diese Chinesen. Und stets sehr freundlich. Tee bekomme ich immer gratis, Früchte auf dem Markt meistens auch. Beim Essen, wollen die einten Geld, die anderen winken ab, sei schon
gut. Viele starren mich an, wenn ich vorbeifahre. Sie kichern. Besonders Kinder können ihre Kinnladen-Muskulatur urplötzlich nicht mehr regulieren. Der Vater weckt sie aus ihrer Starrheit.
Die Erwachsenen halten an, steigen aus, kuscheln sich an meine Schulter und schiessen ein Selfie. Im Supermarkt kommen sie und wollen sehen was ich im Körbli habe, eine Dame hat auch schon meine
Cola wieder rausgenommen und zurück ins Regal gestellt und mir zugezwinkert. Ist wohl ungesund.
Was sie überhaupt nicht verstehen können, wenn ich in ein Taschentuch schnäuze. Das zieht alle Blicke an. Wenn ich dann ganz langsam das Taschentuch verstaue machen sie grosse Augen. Sie können
es wohl nicht begreifen, dass ich in ein Tuch schnäuze und dann meinen «Schnudder» auch noch einpacke und mitnehme! Völlig absurd. Ja stimmt schon, sie schnäuzen ja alle in die Hecke oder auf den
Boden. Aber sie kämen wohl nicht auf die Idee, dieses Abfallprodukt auch noch einzupacken und mitzunehmen. Damit kann man ja nichts anfangen, nicht einmal weiterverkaufen, also weg damit. Ehrlich
gesagt, ich habe den Dreh einfach nicht raus ohne Taschentuch zu schnäuzen. Krieg ich nicht hin. Aber ihre Handhabung scheint mir nun doch logisch.
Seit 12 Tagen habe ich keine Touristen mehr gesehen. Also schon, einfach chinesische Touristen. Alles was ich tue, wie ich mich bewege, wie ich esse, wie ich schaue, wie ich winke, wie ich
einkaufe (besonders was ich einkaufe), wie ich Freddy belade, wird beobachtet. Genau beobachtet. Es ist nicht anstrengend es ist vielmehr lustig. Ich sehe die Menschen hier viel und oft und laut
lachen. Was ich aber fest betonen möchte, ich bin hier im Süden unterwegs, in Yunnan! China ist gross, sehr gross und ich kann nur für diese Strecke reden auf der ich im Moment unterwegs bin.
Yunnan ist die zweitärmste Provinz der Volksrepublik China. Viele sind Bauern, sind Selbstversorger. Diese Chinesen hier sprechen kaum Mandarin, sie haben ihren eigenen Dialekt.
Wifi gibt es überall und überall ist das Passwort 88888888. Acht die Zahl des Glücks! Natürlich kann ich nur dank einem VPN Filter, der meine Internetaktivität auf
einen Server in Tokyo umleitet, zB. diesen Blog hochladen. Google, Whatsapp, Mail und all diese Dinge funktionieren hier nicht. Nur mit Filter! Obwohl, bestimmt wird auch trotz Filter alles
kontrolliert. Da weiss ich echt zu wenig darüber. Auf jeden Fall herrscht grosse Überwachung.
Was mich auch erstaunt, ich sehe praktisch keine Produkte die sonst überall auf der Welt gibt. Ausser Cola, die gibt’s. Zum Glück! Aber sonst ist im Supermarkt alles Eigen-China-Marke.
Ach, es gibt sooo vieles zu berichten.
Zur Natur. Die ist einfach fantastisch hier. Sehr üppige Wälder. Hohe Berge. Riesengrosse Felder. Vor ein paar Tagen fuhr ich 3 Kilometer einem Tomatenfeld entlang. Erdbeeren sind reif. Der Raps
blüht. Kartoffeln blühen. Bohnen und Mais werden geerntet. Fahre durch Kaffee- und Teeplantagen. An jeder Ecke werden Schweine geschlachtet. Am 5. Februar ist Neujahr. Alles sind in Festlaune.
Ich sehe Gemüse auf dem Wochenmarkt, das habe ich zuvor noch nie gesehen. Riesen Würze. Zuckerrohr überall. Frische, süsse Mandarinen. Feine Bananen. Ja, ich esse gesund hier…und trinke
Cola.
In der Nacht ist es kühl, am Tag angenehm war. Ich radle durch eine FrühlingSommerherbst Kombo.
Für mich ist es ein riesen Privileg, dass ich hier mit dem Fahrrad unterwegs sein darf. Die Tage mit den vielen Höhenmeter sind anstrengend aber genau in dieser Anstrengung merke ich, wie glücklich mich der stahlblaue Himmel macht. Wie gut es tut, einen Schluck Wasser zu trinken. Das Wasser löst die trockene Kehle, einfach herrlich. Wie die frische Bergluft meine Lungen durchströmt. Ich darf und kann mich jeden Tag bewegen. Mein Körper bekommt so viel frische Luft pro Tag, wie er Zuhause nie bekommt. Diese frische Luft erzeugt am Abend eine gesunde Müdigkeit. Da darf es auch mal eine Cola sein! Prost!
Liebe Grüsse aus dem Reich der Mitte
Euer Thesi
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Bernadette (Mittwoch, 06 Februar 2019)
Hallo liebe Maria-Theresia
Du wirst beobachtet, vielmehr es wird in China wunderbar auf dich aufgepasst!
Doch auch wir, hier in deiner fernen Heimat verfolgen dich mit
all unseren verfügbaren Möglichkeiten und dabei tun uns nicht mal die
Füsse weh! Danke für den lebendigen Bericht – mach weiter so, geniesse
all die wunderbaren Begegnungen und zwischendurch eine Cola!
Mit einer freundschaftlichen, herzlichen Umarmung aus dem Herzen der Schweiz
Dein Oberhuhn mit � Obergockel
Seelenreise (Sonntag, 10 Februar 2019 19:46)
Soviel Überwachung. Ja, wirklich, dort sollte dir ja echt nichts passieren, wenn so gut zu dir schaut :-)
Vorhin habe ich noch die sehr speziellen Photos aus dem Leben in Lijiang angeschaut, die du auf FB gepostet hast. Eindrücklich und einfach wunderschön. Und nun lese ich, was dort dieser Provinz Yunnan alles an Gemüse und Früchten wächst. Ich habe mich gefragt, welches Klima dort herrscht. Ist es ein feucht-warmes? Es liegt auf dem gleichen Breitengrad wie Südost-Bhutan, und dort wächst während dieser Jahreszeit auch "Chrut und Rüebli" :-)
Alles Liebi,
Heidi