Freddy schläft schon behutsam in der Box. Er ist parat für den Flug morgen in der Früh nach Manila. Ich bin’s noch nicht ganz. Das
Blatt vor mir ist weiss und leer aber ich weiss es zu füllen!
Zwei Wochen fahre ich mit Cynthia vom Veloclub Taipeh mitten durch die subtropische Insel Taiwan. Meine Beine sind voller Energie. Zu diesem Zeitpunkt weiss ich noch nicht, dass mein Kopf mir in
diesen Wochen alles abverlangen wird.
Wir starten auf Meereshöhe in Richtung der wilden Taroko-Schlucht. Schon der Name allein verspricht einiges.
Die Strasse schlängelt sich entlang dem Marmor und Granitgebirge. Atemberaubende Wasserfälle, unzählige Tunnel, fest verankerte Hängebrücken und Touribusse die an fixen Punkten halt machen. Unser
erstes Ziel ist der 86 Kilometer ewig lange, teils sehr steile Aufstieg auf den 3275 Meter über Meer gelegene Wuling-Pass. Ich dachte immer, mehr als Grimsel, Furka und Susten an einem Tag
schaffe ich nicht. Das war vor 3 Jahren. Und da war ich eben noch nicht in Taiwan auf dem Wuling-Pass. Bei der Maximalen Steigung von 27,4 Prozent kann ich auch mit dem Kopf nicht mehr
weiterfahren und muss schieben.
Ein bisschen weniger steil und die Energie ist zurück! Cynthia und ich haben ein unterschiedliches Tempo. Sie meint ich solle meine Energie weise einteilen und langsamer fahren. Fahre ich nicht
mein Tempo werde ich schnell müde und so machen wir ab, dass ich alle 5 Kilometer warte. Wir campieren die erste Nacht bei einem Tempel die zweite auf einem Parkplatz. Wir sind als Team
unterwegs. Sind gemeinsam gestartet und werden auch gemeinsam wieder in Taipeh einradeln. Funktionieren zwei fremde Menschen auf Anhieb als Team? In einer Situation wo auch der Körper müde
wird?
Jeden Abend haben wir Diskussionen. Die Art wie ich Reis koche ist verkehrt. Nein sie ist sogar falsch. Es wäre besser ich würde kein Deo benutzen. Eine Platte repariert man auf diese Weise und
nicht so!
In einer Bruchsekunde merke ich, das funktioniert nicht. Wir funktionieren und harmonieren nicht. Noch nicht. Ganz normal. Wir beide bringen Tourenerfahrung mit, sie hat ihre Stärken, ich meine.
Jetzt gilt es, diese so zu kombinieren, dass wir gemeinsam immer das beste aus der momentanen Situation machen können. Eine Herausforderung. Der Aufstieg ist plötzlich ein ganz anderer als die
steile Strasse. Wir schaffen das. Und ich lerne Reis auf eine andere Weise zu kochen.
Am dritten Tag nehmen wir die letzten Kilometer bis zur Passhöhe in Angriff. 10 Kilometer vor Schluss dann die berühmte Abzweigung. Jetzt wird’s richtig steil. Die
Frühstücks Energie-Nudelsuppe mit Algen lässt nach. Die Peanutbutter Kekse und Nüsse sind an der Reihe.
Wir lassen den Nadelwald hinter uns und kommen ins alpine Grasland. Herrlich. Ein Stück Heimat.
Nach Sonnenuntergang erreichen wir die Passhöhe. 20 Grad kälter als gestern Abend. Wir entscheiden uns, mit Stirnlampe und Handschuhen die 40 Kilometer Abfahrt in der Dunkelheit zu wagen. Ein
besonderes Erlebnis. Die Mond geht auf, das Himmelszelt voller Sterne. In solchen Momenten verändert sich mein Zeitgefühl komplett. Es ist egal wie spät es ist. Wie lange eine Minute dauert. Wann
ich ankommen werde. All das verliert an Wichtigkeit, an Bedeutung. Nur der Moment existiert. Und die Zeit steht still. Ein wunderbar, erfüllendes Gefühl!
Die nächsten Tage sind gespickt mit vielen Höhenmetern. Wir campen bei einer Schule. Neben Tempeln. Bei Kirchen. In Parks. Am Strassenrand. Wir fahren durch Bambuswälder und essen Bambussuppe.
Geniessen hoch qualitativen Tee in den Alishan Bergen bei Huan mitten in der Teeplantage. Ich lese in einer Berghütte Flöhe auf und habe an den Beinen über 280 Stiche. Wir besuchen die
abgelegensten Regionen wo die Ureinwohner noch die eigene Sprache sprechen. Luma lädt uns zum Tee ein – aus Tee wird ein Mittagessen und eine wilde Fahrt mit ihrem Jeep hoch auf den Berg wo die
weissen, süss duftenden Blumen wachsen die ihr Mann vor seinem Tod noch einmal riechen wollte.
Bei einem Wasserfall gibt’s nach 10 Tagen die erste Dusche. Querfeldein geht's auch auf dem Tisch zu und her. Nudelsuppe mit pulverisiertem Schwein. Tee-Eier die in
Schwarz-Tee und Sojasauce gekocht werden. Schlimmer sehen nur die 1000 Jahr alten Eier aus. Die sind dann schwarz. Vom grüne Bohnen Saft bis zum Spargelsirup huss. Schweinefüsse im Glauben daran,
dass nach der Mahlzeit dem Glück nichts mehr im Wege steht. Stinkender Tofu mit Kabis. Ingwer entfaltet sich nicht nur im Tee sondern auch wunderbar mit Chicken Rice! Frische Mango,
Passionsfrucht, Ananas, Grapefruit und Bananen versüssen uns den Alltag. Das ist bitternötig, denn unsere Diskussionen sind immer noch scharf und versalzen. Meistens handelt es sich um
Kleinigkeiten. Gleichzeitig werden wir stärker und lernen voneinander. Die letzten Kilometer dieser zwei Wochen fahren wir im Dauerregen und stossen zurück in New Taipeh City mit Soyamilch auf
unsere Tour an.
Cynthia, danke für Deine Gastfreundschaft. Danke für die kostbare Zeit hier in Taiwan. Dank Dir habe ich Regionen gesehen die ich alleine bestimmt nicht bereist
hätte. Über diese zwei Wochen könnte ich Seiten füllen. Aber diese eine Seite ist nun voll.
Mein Geist ein Stück reicher an Erfahrungen. Eine neue Freundschaft geschlossen.
Also mein Geheimtipp liebe Reisende: Taiwan.
Tipp für Velo-Reisende: Wuling-Pass!
Nächtliche Grüsse aus Taipeh
Euer Thesi
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Seelenreise (Samstag, 29 September 2018 09:29)
Liebe Maria-Theresia,
Wieder einmal ein sooo spannender Bericht. Vor allem berühren mich deine Schilderungen der zwischenmenschlichen "Aktionen", was ja letztendlich das Wesentliche ist nebst dem Bewundern und Geniessen der Schönheiten von Mutter Erde.
Die "neue" Art Reis zu kochen musst du mir dann unbedingt zeigen, wenn du wieder zurück bist, gäll.
Herzlich,
Heidi
Heinz (Sonntag, 07 Oktober 2018 09:08)
Liebe Thesi
Da hattest du aber einen speziellen Trip. Nicht nur dass es extrem steil nach oben geht, nein das Essen tönt auch ein wenig extrem. Aber vielleicht ist einem nach solch einer Tour auch egal was hineinkommt? Das 'richtige' Reiskochen würde mich dann auch interessieren.
Weiterhin eine gute und spannende Reise wünscht dir
Heinz aus Magden