21. Blog - Nagoya JAP - Diese Stille...

 

 

 

Vorneweg!

Es macht mich immer noch sprachlos und tief traurig was in Tadschikistan passiert ist. Vier Tourenfahrer sind auf tragische Weise ums Leben gekommen. Meine Gedanken, mein Mitgefühl sind bei den Angehörigen und Freunden.

Denke an die Gegend Danghara zurück…auf die Schönheit dieser Gegend. Karg. Rau. Still. Weit. Intensive Farben. Dem Himmel ein Stück näher. Und ja, die Gastfreundschaft von den Menschen erlebte ich damals auf dieser Strecke als sehr gross.

Es gibt sie überall, die herzensguten…aber leider auch die einzelnen furchtbar bösen.

Was soll ich sagen? Es tut mir einfach unendlich leid für Lauren, Jay, Markus und Rene und deren Umfeld!

Viel, viel Kraft!!

 

 

So viele haben mir auf den letzten Blogeintrag geschrieben: «Post nach Japan ist unterwegs»! Ihr seid die besten! Freue mich jetzt schon, wenn die erste Karte bei Mayumi im Briefkasten liegt. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen was für eine Freude ihr dieser wunderbaren Frau macht! Vielen lieben Dank. Das rührt mich echt!

 

Heute geht’s besser. Gestern war’s schwierig. Sitze im Hostel Ann, direkt unter der Klimaanlage mitten in Nagoya. Es ist brutal heiss! Gefühlte 44°-47° Grad Tagsüber bei einer Luftfeuchtigkeit von 70-80%.  Zuhause in der Schweiz wisst ihr ja von was ich rede. Das Zelt stelle ich seit Wochen nicht mehr auf. Auch die Matte bleibt verstaut.

Es gibt zwei Möglichkeiten. Draussen im Park auf einer Bank oder in einem Hostel. Vielleicht bin ich auch einfach ein Weichei?!

Sonntagabend, hundemüde finde ich einmal mehr eine Holzbank im Park. Toilette in der Nähe. Perfekt. Auf der Bank neben mir sitzt ein Obdachloser. Alt, mit krummem Rücken eingeknickt starrt er auf den Boden. Bin zu müde um zu sprechen. Teile einfach mein Sandwich und reiche ihm die Hälfte. «Arigato». Er strahlt, beisst hastig ab und hustet stark. Wann hat er wohl das letzte Mal etwas gegessen. Ich mag nicht denken. Lege mich samt Kleidern hin und probiere zu schlafen. Das Problem: die Temperatur sinkt nachts nicht unter 31° Grad. Schwitze. Warum bin ich hier? Die Frage kann ich heute nicht beantworten. Muss ich auch nicht.

Baue mir in Gedanken ein Abend mit Freunden auf. Wir reden über Gott und die Welt, lachen, haben’s gut zusammen, essen Pilze vom Grill, diese sind gefüllt mit Cantadou-Käse, herrlich! 02:00 Uhr bin immer noch hellwach! Die Pilzgedanken sind mittlerweilen gegessen. Der gute, alte Mann neben mir packt sein Pocket-Radio aus und schraubt und schraubt. Es «chrost». Er findet eine Frequenz. Hält inne, schraubt weiter. Sucht er wohl einen bestimmten Sender? Versuchs doch mal mit 88.8MHz…schön wärs! Ah jetzt, das Musikprogramm. Eine Art Japanischer Pop, glaub ich zumindest. Die Musik lenkt von der Hitze ab, wiegt mich aber nicht in den Schlaf.

Um 05:00 Uhr esse ich eine Banane, drei Mäuler voll Reis aus dem Säckchen und ein paar Nüsse. «Das Essen in Japan ist meeega gell?!» Bei mir gibt’s seit 7 Wochen abwechslungsweise Reis und Teigwaren. 2x habe ich mir einen Apfel für je 3 Franken gegönnt! 5x war ich auswärts essen und ja, da war das Essen wirklich herrlich. Bei dieser Hitze bin ich zu faul zum Essen.

Erinnere mich an die Fahrt vor fünf Jahren in der Wüste in Turkmenistan zurück. 51° Grad aber ich habe es nicht als super heiss in Erinnerung. Wolfgang aus Deutschland sagte mir damals: «Du musst essen, sonst hast Du morgen keine Energie! Iss jetzt!» Wir sassen im Sand, machten ein Feuer und ich hätte kotzen können! Heute weiss ich wie recht er hatte. Um 05:20 bin ich am Radeln, der warme Gegenwind trocknet die Schweissperlen, was ein bisschen Kühle erzeugt. Sitze den ganzen Tag feucht. Ja man schwitzt eben überall. Daher ist mein Hintern mittlerweilen rot und wund. Aber halb so schlimm. Schlimmer geht's meinen Korkgriffen. Die lösen sich förmlich auf. Haben risse und der Kunststoff unter dem Kork schwindet. Eben durchgegriffen. Muss bald mal neue Griffe finden - Lager und Kassette sollte ich nach bald 8000 Kilometern auch wechseln. Kann ich aber nicht selber. Vielleicht in Osaka..mal schauen.

Über 10 Stunden brauche ich für 60 Kilometer, also inklusive Pausen. Noch 20km bis Nagoya, let’s go thesi! Reiss Dich zusammen! Die Ampel zeigt rot. Stehe mit dem rechten Fuss ab und merke mir wird schwindlig. Sofort setze ich mich am Schatten auf’s Trottoir und lehne an die heisse Mauer an. Merke wie mein ganzer Körper pumpt. Trinke einen halben Liter auf ex. Heute schaffe ich es auf sechs Liter! Ein Autofahrer bringt mir einen weiteren Liter Wasser – so lieb. Ein Anderer schenkt mir isotonische Drops, ein weiterer kurbelt das Fenster runter, ballt seine Faust, spannt die Oberarmmuskeln an und gibt mir das Zeichen: «Du schaffst das»! Das motiviert echt! Das sind meine Helden der Strasse!

Das Gebiet rund um Nagoya liegt wie in einem grossen Talkessel. Die Winde ziehen viel weiter oben in der Atmosphäre durch. Also praktisch immer windstill, dadurch kühlt es nur schwer ab. Völlig erschöpft klopfe ich im Hostel Ann an die Tür. Bett frei – Himmel auf Erden! Bin wirklich ein Weichei!

Koche mir eine grosse Portion Hörnli mit Sojasauce. Und wisst ihr was? Im Kühlschrank gibt es Mayo for free, da knall ich mir eine ordentliche Portion drüber! So richtig viel!

Im gemischten 10er Schlafsaal kann ich trotz Licht und Geschnarche wunderbar einschlafen…direkt unter der Klimaanlage HA! Träume vom Mount Fuji…wenn die Realität zum Traum wird :)

Magisch steht er da. Bin fasziniert von diesem Berg. Diesem Vulkan. Seiner Schönheit. Auch wenn zuoberst kein Schnee liegt wie auf jeder Postkarte. Bekomme ihn aber nur ganz kurz zu sehen, die dicken Wolken lassen ihn im Nu verschwinden. Will da hoch! Fahre nach Fujinomya. Im Hostel recherchiere ich ein wenig über den Fuji-San. Bis zu 6000 Menschen sind in den Monaten Juli / August am Berg. Es gibt 9 Berghütten zum Übernachten. Free WIFI sogar auf dem 3776 Meter hohen Gipfel. Getränkeautomaten zuoberst. Will ich wirklich da hoch? Ist der Berg doch heilig!

Kann ein heiliger Berg dieser Auflauf verkraften? Jeder muss wohl mit seinem Gewissen da hoch. Von den Trekkings im Himalaya habe ich gelernt, Respekt gegenüber dem Berg ist extrem wichtig.

Die Hütten sind alle schon ausgebucht. Zwei kräftige, deutsche Männer erklären mir, dass ich auch einen Nachtaufstieg machen könnte. «Kann ich da alleine hoch?», «Ja, ja da sind viele unterwegs in der Nacht! Es gibt Dir einfach ein total langer Tag, aber so musst Du nicht übernachten». Wenn ich ihre Statur, "Scheiche wie Eiche", so betrachte ist dies bestimmt möglich. Nun gut, ich kann ja einfach ein paar Stunden früher starten. Es gibt verschiedene Routen auf den Fuji-San. Ich wähle die kürzeste aber die steilste. Packe meine warmen Sachen ein, Reissnacks, Energieriegel, 3 Liter Wasser, Kamera und Stirnlampe. Bei der 5. Station auf 2400 Meter warte ich 6 Stunden. Komme ja von 5 Meter über Meer! Alles ist Wolkenverhangen.

Gegen Mittag starten die meisten. Vor dem Aufbruch herrscht Dehnübung-Stimmung der japanischen Touristen. Der Guide stellt die Stöcke ein, kontrolliert bei jedem die Rucksackeinstellung, schnallt die pinkigen Gamaschen fest. Ein Schauspiel. Gleicht einer Modeschau. Einige halten schon den Sauerstoffspender mit Maske aus der Dose parat! Jesses. Gegen Abend wird es ruhiger. Bevor ich um 18:18 Uhr loslaufe spreche ich innerlich ein Mantra und bedanke mich, dass ich überhaupt auf diesen heiligen Berg hochlaufen darf. Aber wo sind jetzt all die vielen Menschen die auch abends starten? Niemand hier! Mir ist ein wenig mulmig. Ich gehe einfach langsam aber sicher! Schon nach wenigen Metern merke ich, wie ring ich gehe. Es fühlt sich so gut an. Diese Stille. Bin nun über der Wolkendecke. Allein...

Nach zwei Stunden mache ich bei einer Hütte halt. Alle sind schon am Schlafen. Sitze auf dem Bänkli und sehe am Horizont wie der Mond – also eigentlich heisst es DIE Mond! – feuerrot aufgeht. Was für ein Anblick. Da muss ich aufstehen. Das hat mit Respekt zu tun. Atme tief ein, die Lungen füllen sich mit Energie. Diese Energie verteilt sich im ganzen Körper. Da ist so eine Kraft vorhanden. Via Mond schicke ich meine besten Wünsche und Gedanken zu all meinen Freunden, Bekannten und Mama. Danke, dass sie mich unterstützen, mitreisen.

Auf halbem Weg treffe ich auf einen Polen. Er sitzt auf einem Stein, Arme verschränkt und zittert. Kein Wunder bei fast 0° Grad, Wind und in kurzen Hosen! Zünde ihm mit meiner Stirnlampe ins Gesicht. Seine Augen sind ganz rot. «Hey Man, alles ok??». Er ist seit morgens um 05:00 Uhr unterwegs, also seit gut 20 Stunden. Gebe ihm ein Energieriegel. «Hast Du lange Hosen mit dabei?», «Nur ein Schlafsack». «Also los, pack ihn aus!». «Wir sind auf 3000 Metern, noch gut 700 Meter bis nach oben, schaffst Du das?». Er versichert mir, dass alles ok sei und er noch ein wenig warte und dann langsam aufsteige. Gut. Weiter unten sehe ich Lichter von Stirnlampen und so ziehe ich weiter.

Kurz nach 02:00 Uhr bin ich oben. Noch niemand da. Kein Wunder bei dieser S.. Kälte! Noch drei Stunden bis Sonnenaufgang. Lege meinen Rucksack an einen Lavabrocken, setze mich hin und bestaune bei Mondschein den Krater! Unglaublich! Da finde ich einfach keine Worte diesen Moment zu beschreiben. Fühle diese absolute Freiheit. Ein Moment ohne Sorgen, ohne Ängste…eigentlich ohne Gedanken und Überlegungen. Einfach sein.

Langsam kommt die Masse oben an. Kurz vor 05:00 Uhr dann das grosse Feuerwerk zum 1. August.

Der Horizont feuerrot. Die Wolkenränder am Horizont werden in einer goldenen Linie nachgezeichnet. Die Sonne geht auf. Langsam aber sicher! Magisch. Einzig.

Danke, darf ich diesen Moment erleben. Ein Moment voller Energie.

Ein Stück dieser Energie schicke ich in Gedanken zu euch liebe Blog-Leser!

 

Euer Thesi

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Bernadette (Freitag, 10 August 2018 20:49)

    Liebe Maria-Theresia
    Die Fuji-San-Energie ist soeben in Morschach angekommen, sie hat den weiten Weg von 9643 km geschafft. DANKE! Beeindruckend, vielmehr berührend zu lesen, wie du diesen heiligen Berg bestiegen hast – selbst beim Lesen musste ich einen Moment innehalten. Nun geht es bei dir – bei uns weiter – ich wünsche dir von Herzen weiterhin genügend Energie und dann und wann eine kühle Brise!
    Liebste Grüsse Bernadette

  • #2

    Seelenreise (Freitag, 10 August 2018 22:07)

    Du darfst dir doch wirklich ab und an ein Hostel gönnen. Deswegen bist du doch kein Weichei..... Diese Hitze ist mörderisch, vor allem weil zusätzlich so viel Feuchtigkeit in der Luft ist. Wüstenklima ist, von daher betrachtet, sehr viel besser, denn dort merkt man die Hitze wegen der Trockenheit nicht so extrem.

    War schön, mit dir da auf den diesen Berg zu steigen, die Mondin zu erleben und dann den Sonnenaufgang.

    Alles Gute und viele Energieschübe...