Bin in Seoul. Mit über 23 Millionen Einwohner die 4. Grösste Stadt der Welt. Vorgeschmack auf Tokio. Sozusagen das Amuse-Bouche!
Die 6 stündige Einfahrt ging flott…bis der Fahrradweg endete. Dann war auch ich rasch am Ende. Traubenzucker, Cola, Fluchen und der Gedanke an die Ruhe am Oeschinensee halfen. Anita und
Matthew aus Deutschland motivierten mich an einer Kreuzung für die letzten Kilometer. Sie sprachen mich spontan an, sie besucht ihren Sohn der hier im Austauschjahr ist. Etwas wunderbares, wenn Mütter ihre Kinder in der weiten Welt besuchen!
Es war eine Woche gespickt mit hunderten von Geschichten und Erlebnissen. Drei möchte ich euch erzählen.
Vom Durchhalten und lernen in den koreanischen Bergen. Von Mister Huan (sprich: Uan, das H wird nicht betont) und seinen Steinen. Vom Zeltabbruch.
Erster Tag im Land der Morgenstille. Fühle mich zurückversetzt in die tiefe Kindheit. Klein Thesi kann nicht lesen, spricht in einer eigenen unverständlichen Sprache, die Augen sehen das erste Mal die Welt. Alles neu. Lebe nach Bildern. Wie ein kleines Kind.
Wie ein kleines Kind bekomme ich gleich Starthilfe von Mister Lee (Sprich: Lii). Er schenkt mir Kekse und seine Lunchbox für die Weiterfahrt. Mit einer
Oberkörperneigung nach vorne, bedanke ich mich. Bin also ausgerüstet mit Proviant für die Berge. Bis zu 10% Steigung kann mich Freddy in Balance halten. Bei über 10% muss er passen,
respektive ich schieben. Aber eben, wer liebt, der schiebt. Ein Pass jagt den nächsten. Griesalp hoch – Griesalp runter – Griesalp hoch! 37 Grad, feucht, 4-5 Liter Wasser trinke ich locker. Ich
spüre den Schweiss überall, die Schweissperle von den Brauen läuft beim Blinzeln in das Auge. Das Salz brennt. Bringen mich diese Berge bereits ans Limit? Am ersten Tag? JA!
Der Gedanke stresst mich bis spät in die Nacht, denn es warten noch ganz andere Berge auf mich. Bin Hundemüde aber finde keinen Schlaf. Habe Hunger aber mir ist übel. Könnte ewig hier liegen
bleiben, will aber weiter.
Zweiter Berg-Tag: die Beine sind stärker, es geht aufwärts! Kurve um Kurve schlängelt sich die perfekte Strasse durch schönste Mischwälder. Es fühlt sich an, wie ich durch ein grosses Lehrbuch fahre. In der Schule lernen wir was ein Mischwald ist – hier fahre ich hindurch. Wie Reis angebaut wird – hier kann ich dabei zusehen. Wo die olympischen Spiele waren – in Pyeongchang stelle ich mein Zelt direkt neben der Sprungschanze auf. Wir sehen Bilder von Tempeln aus fernen Ländern – hier lege ich eine Pause ein, im Schatten vom Tempeldach. «Wir haben nie ausgelernt» ein Spruch, den ich Zuhause oft höre. Aber lerne ich nur aus Fehlern? Oder will ich immer wieder neues lernen aus reiner Neugier und Interesse?
Mister Huan (das H wird immer noch nicht betont) lernte mich ein Stück Weisheit. Er lebt in seiner selbstgebastelten Wellblechhütte direkt am Fluss. Ein Traumplätzchen, totale Stille, klares Wasser und der perfekte Platz mein Zelt zu stellen. Er erklärt mir am Wasser etwas über die Fische, zeigt mir seine über 700 Steine, kocht Kaffee und so sitzen wir auf Plastikstühlen, er erzählt ich höre aufmerksam zu. Wie gerne würde ich ihn verstehen. Er ist wie ein Grossvater der seiner kleinen Grosstochter Geschichten erzählt. Wer weiss, vielleicht versteht ja das Unterbewusstsein. Sein Hab und Gut? Die Steine. Jeder ist wunderschön und einzig. Für jeden einzelnen hat er einen Holzuntersatz geschliffen. Mit der grünen Kunststoffsprühflasche sprüht er ganz behutsam Wasser auf die Steine, schnell setzt er sich wieder hin und deutet mir, dass ich beobachten soll. Also was jetzt? Steine bewegen sich ja nicht. Aha, ich verstehe…wir beobachten wie der Stein trocknet und langsam heller wird. Echt entspannend. Das hat so was Tiefes, dass mir eine Träne runterrollt.
Käme mir Zuhause nie in den Sinn einen Stein zu besprühen und ihm zuzusehen wie er trocknet. Aber warum auch nicht? Braucht gar nicht so viel Zeit – aber lässt die Zeit vergessen. Am Morgen schenkt er mir einen winzigen Stein für in die Lenkertasche. Danke Mister Huan. An Sie werde ich mich immer erinnern.
Auf der Strasse ist immer was los. Die Koreander winken mir zu, klatschen in die Hände, erkennen sofort die Schweizer-Fahne, wollen das Fahrrad kurz berühren, fragen ob ich zu 100% echte Schweizerin bin «You pure swiss?», können dies dann kaum glauben, machen Fotos, schenken mir Essen, Kaffee, sie begegnen mir soo Gastfreundlich. Überlege dann kurz wie ich den Koreanern in Interlaken begegne? Meistens weiss ich gar nicht, dass es Koreaner sind. Einfach die Asiaten, die von allem möglichen und unmöglichen Fotos knipsen. Von der Mülltonne, über den Zug bis zum Trottoir. Wisst ihr was? Ich bin genau gleich, ich fotografiere Seifenspender, Toiletten und Veloständer. Was denken sie wohl, über diese knipsende Ausländerin?! Eines weiss ich, den Koreanern werde ich in der Schweiz nun anders begegnen.
Zeltabbruch. Die Sonne geht gleich unter und ich kaufe mir im Städtchen Yanggu noch kurz was zum Essen ein. Übernachten will ich beim See, der laut meiner Karte 10 Kilometer weiter westlich liegt. Eine Nebenstrasse führt dem See entlang. Wunderschön. Keine Autos. Das Problem: Rechts geht es steil hoch, links ist die Leitplanke und der steile Abhang runter. Unmöglich zum Wasser zu kommen. Fast wie auf der Axenstrasse zwischen Brunnen und Flüelen. Beim nächsten Häuschen in einer Nische, frage ich die gute Dame, ob ich mein Zelt hier stellen darf. Sie deutet mir, ich solle warten bis ihr Mann nach Hause kommt, sie müsse ihn fragen. 40 Minuten später immer noch kein Ehemann da. In 15 Minuten ist es dunkel. Erneut frage ich. Sie wirkt gestresst und schickt mich fort. Dumme Kuh, denke ich im ersten Moment, hättest Du mir ja gleich sagen können. Sofort bündle ich meine Gedanken, «Thesi, hör auf! Du kennst ihre Situation nicht, weisst nicht was sie für einen Mann hat. Entwickle gute Gedanken für sie! Verabschiede Dich nett mit einem Lächeln!».
Ein paar Kilometer weiter, erneut eine Nische die von einer Holzwand getrennt ist. Hier bleibe ich! Beste Sicht auf den See morgen früh, perfekt. Als ich hinter die Holzwand abbiege, sehe ich einen Mann auf der Bank, geschätzte 45 Jahre alt. Auf seinem Schoss das etwa 8jährige Mädchen. Er küsst es auf den Mund. Mist! Er erschrickt als er mich sieht. Wie gesagt es ist schon dunkel. Er springt auf und fragt irgend etwas. Rieche seine Alkoholfahne von weitem. Mir ist übel, könnte ihn ankotzen. Frage das Mädchen ob alles ok sei? Sie nickt scheu. «Ist das Dein Vater?» Erneut ein stilles Nicken. Kennt ihr das Gefühl, wenn ihr spürt, dass die Spannung in der Luft liegt? Er will wissen ob ich alleine bin? Jetzt verstehe ich auch mal kein Wort. Ob ich hier übernachten will? (Die Kommunikation ist lediglich mit deuten) Ich überlege kurz…weiter fahre ich ja eh nicht, wenn ich hierbleibe, verzieht er sich bestimmt. Mit klarer, sicherer Stimme: «Ja ich bin alleine, und ich werde hier übernachten!». Mit seinem Zeigefinger setzt er bei seiner Kehle an, zieht einen Strich durch den Hals und deutet auf mich. Mich schaudert es. Weiss aber gleichzeitig er ist angetrunken. Er will mir die Hand geben. Wie du willst, dir gebe ich einen richtigen Händedruck. Drücke mit aller Kraft zu, lasse ihn spüren, dass ich auch nach 2 Passfahrten und über 100 Kilometer noch Kraftreserven habe! Er zieht mit dem Mädchen davon. Zu Fuss, er ist wackelig auf den Beinen. Ist es eventuell der Mann von der Frau vorhin, die mich fort geschickt hat?
Mit Pfefferspray und Sackmesser in der Hosentasche beginne ich das Zelt zu stellen. In diesem Augenblick beginnt ein Vogel ganz laut und irgendwie nervös zu zwitschern. Nein ich bilde mir das nicht ein! Alle Sinne sind in einer solchen Situation geschärft. Was sagt mir der Vogel? Ja stell das Zelt auf, das passt schon. Oder, nein Du kannst hier nicht übernachten, zu gefährlich (und das in einem der sichersten Länder der Welt). Keine Ahnung.
Bin parat für die Nacht, Zähne geputzt, alle Taschen im Zelt. Bin ich wirklich parat? Nein! Mein Puls ist super hoch, kann mich nicht beruhigen. Der Mann weiss wo ich bin, was wenn er mitten in der Nacht kommt? Wage zu behaupten, dass ich stärker bin als er, er ist wakelig auf den Beinen und einen Kopf kürzer als ich. Bin mir aber nicht sicher. Stehe vor das Zelt und versuche zu hören, auf mich zu hören. «Kann ich hier übernachten?» Etwa 45 Minuten sitze ich im dunkeln vor dem Zelt. Gebe mir noch exakt 5 Minuten Zeit. Sind die 5 Minuten rum, gehe ich entweder ins Zelt, oder fahre zurück nach Yanggu. 2 Kilometer weiter vorne ist ein Aufstieg zur beleuchtenden Autobahn. Dort könnte ich hoch und sicher zurück fahren.
Aber was ist mit dem Mädchen? Was hätte ich tun können? Weiss sie, dass es falsch ist was er mit ihr macht? Ich bete zum Universum, dass sie es eines Tages weiss und sich wehren kann! Hätte ich mehr für sie tun können? Bei der Polizei melden? Hab aber kein Foto. Verdammte Scheisse!!!
Die 5 Minuten sind rum, ich schaff es einfach nicht ins Zelt zu gehen. Also Zeltabbruch. In diesem Moment höre ich den Vogel erneut, er singt. Nein ich bilde mir das nicht ein!
Eine Stunde später bin ich mitten in der Nacht zurück in Yanggu. Genug für heute. Stehe Minutenlang unter der kalten Dusche. Liege im Bett und Atme tief ein und aus. Puls kommt runter. Aber noch heute beschäftigt mich die Situation.
Es ist nicht immer nur ein Spass durch die Welt zu radeln…Es ist intensiv. Es ist prägend. Und es ist alles freiwillig!
Danke fürs Lesen und beste Grüsse aus Seoul
Euer Thesi
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Heidi (Mittwoch, 06 Juni 2018 14:07)
Liebes Thesi habe mit Interesse Deinen letzten Blog gelesen und freue mich, dass Du Dich so sicher auf Dein Bauchgefühl verlassen kannst. Es ist nicht immer leicht, ich bewundere
Dich für Deinen Mut. Wünsche Dir in Zukunft nur noch positive Erfahrungen, ich denke an Dich. Grüsse vom Pilatus xx
Hermann (Mittwoch, 06 Juni 2018 16:45)
Auch ich bewundere dich. Und bin so froh, dass du dich auf dein Bauchgefühl verlassen kannst. Und wohl auch auf die guten Gedanken all jener, die dich im Geiste begleiten.
SILVIA (Mittwoch, 06 Juni 2018 17:48)
hallo Thesi - heute habe ich den Blog 13 - 15 gelesen und höre regelmässig das Radio Beo und es freut mich dich dort zu hören. Du bist ja schon in Seoul - wahnsinnig diese km , die du schon abgestrampelt hast und deine Mama hat dich in der Transibirischen Eisenbahn begleitet, das finde ich sehr schön und ich denke das hast du sicherlich genossen.
Ich wünsche dir weiterhin viel Glück bei deinem Abenteuer lg Silvia
gretel (Samstag, 09 Juni 2018 13:17)
Meine liebe Thesi,
es ist immer und immer interessant deinen Blog zu lesen. Unglaublich was du wieder alles erlebt hast!
Mögest du noch in vielen Situationen auf dein Bauchgefühl hören können und richtig handeln. Möge überall ein Singvogel in deiner Nähe sein und dass du dich auf seinen Gesang verlassen kannst.
Mit allen guten Wünschen für die Weiterfahrt,lg Gretel
Seelenreise (Freitag, 15 Juni 2018 16:00)
Liebe Maria-Theresia,
Ich bin erst heute dazugekommen, deine letzten beiden Blogs zu lesen. Danke für diese echt spannenden Berichte.
Da hast du ja ein grosses Geschenk aus der geistigen Welt erhalten, als sich ein Singvogel als "Schutzengel" zu dir gesellte und du ihn auch noch wahrgenommen hast.
Liebe Grüsse,
Heidi